Burg Angern
Die um 1341 gegründete Burg Angern bewahrt in seltener Geschlossenheit die originale Bau-, Erschließungs- und Verteidigungsstruktur einer hochmittelalterlichen Wasserburg und nimmt damit eine herausragende Stellung innerhalb der norddeutschen Burgenlandschaft ein.

Zugemauerte Fenster in der Ringmauer der Hauptburg Angern – eine bauhistorische Untersuchung. Die in der östlichen und westlichen Ringmauer der Hauptburg von Angern nachgewiesenen Fensteröffnungen sind ein zentrales Indiz für Veränderungen der Nutzung und Gestaltung der Burganlage zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert. Die Untersuchung ihrer baulichen Struktur, ihrer Positionierung und ihrer Einbindung in das umliegende Mauerwerk erlaubt Rückschlüsse auf die Entstehungszeit und die Nutzungslogik der betroffenen Bauteile. Der vorliegende Befundbericht basiert auf einer Auswertung der erhaltenen Bausubstanz, archivalischer Hinweise sowie einer kritischen Analyse des Mauerwerks im Kontext der Wiederbesiedlung nach 1650 und des barocken Neubaus um 1735.

Kontext: Aufschüttung und Umbauten nach 1631

Die Zerstörung der Burg Angern im Jahr 1631 im Zuge des Dreißigjährigen Kriegs hinterließ erhebliche Schäden an der Bausubstanz. Nach der Rückkehr der Familie von der Schulenburg begannen ab etwa 1650 erste Wiederaufbaumaßnahmen, dokumentiert durch die Kirchenvisitation in diesem Jahr und die Erwähnung erhaltener Kelleranlagen. Zwischen 1650 und dem barocken Neubau ab 1735 wurde die Hauptburginsel offenbar schrittweise verfüllt – eine Maßnahme, die vermutlich der Angleichung des Geländeniveaus an das 1680 erwähnte neue Wohnaus auf der Turminsel diente. Dass diese Auffüllung vor dem von Christoph Daniel von der Schulenburg veranlassten Schlossneubau abgeschlossen war, belegen unter anderem die asymmetrische Positionierung der Fensteröffnungen im unteren Drittel der heutigen Wandhöhe sowie die Überdeckung dieser Öffnungen durch aufgefülltes Bodenmaterial. Weitere Hinweise auf die Geländeveränderungen liefert das Gutsarchiv Angern, insbesondere Rep. H Nr. 412. In einem Schreiben aus dem Herbst 1737 heißt es:

„Dieser Fehler verursacht, dass der Hof vor dem Haus verniedrigt werden muss, wodurch das Turm gewölbe nebst dem dabei stehenden Keller eingebrochen und verschüttet werden muß, maßen sonst der Platz nicht zu erniedrigen“ (Rep. H Angern Nr. 412, Nr. 2).

Diese Passage belegt, dass es zur baulichen Angleichung der verschiedenen Gebäudefundamente notwendig war, das zuvor aufgeschüttete Terrain wieder abzusenken – ein Eingriff, der tiefgreifende Auswirkungen auf das erhaltene mittelalterliche Gewölbesystem hatte. In einem ergänzenden Schreiben vom 18. November 1737 wird eine alternative Maßnahme erörtert:

„[…] daß der kleine Graben sowohl als die Gewölbe können konserviert werden, auf die Maße, daß man die Decke derer Gewölbe ganz wieder neu schlüge und solche niedriger mache […]“ (Rep. H Angern Nr. 412, Nr. 4).

Diese Quellen belegen zweifelsfrei, dass die Auffüllung der Hauptburginsel nach 1631 gezielt vorgenommen und spätestens vor Beginn des barocken Neubaus abgeschlossen war. Sie hatte zur Folge, dass ältere Bauelemente – darunter das Erdgeschoss des Palas  und die Gewölbe auf der Turminsel – sukzessive im Terrain verschwanden. Die Notwendigkeit späterer Absenkungen des Hofniveaus ab 1737 bestätigt die zuvor erfolgte Aufschüttung eindrücklich.

Beschreibung der Fenster in der Westwand

Die westliche Ringmauer der Hauptburg zeigt mehrere zugemauerte Fensteröffnungen, die von außen durch abweichendes Ziegelmauerwerk klar erkennbar sind. Das umgebende Mauerwerk besteht im unteren Bereich aus unregelmäßigem Bruchstein (wohl aus der Bauphase um 1340), das im oberen Bereich mit Ziegeln ergänzt wurde. Die Fenster sind in diesen Ziegelabschnitt eingelassen. Ihre Laibungen bestehen aus teils grob zugeschnittenen Ziegeln ohne sichtbare bauzeitliche Gewändestrukturen, was gegen eine ursprüngliche Einbindung in das mittelalterliche Mauerwerk spricht. Es handelt sich vielmehr um nachträglich eingeschnittene Öffnungen, deren Rückseite durch einfache Segmentbögen oder flache Stürze begrenzt war.

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Vermauerte Fenster in der westlichen Ringmauer

Fenster in der östlichen Außenwand des Palas

Im Gegensatz zu den Westfenstern sind die beiden nördlichen Fenster in der Ostwand des Palas bauzeitlich um 1340 entstanden. Sie sind als asymmetrisch platzierte Schlitzfenster in die Ziegelbasis des Tonnengewölbes eingebunden. Die Laibungen bestehen aus regionaltypischen Backsteinen, die sich in Form und Brennstruktur deutlich von den später verwendeten Ziegeln unterscheiden. 

Im südlichen Abschnitt der Ostfassade des Palas der Burg Angern sind mindestens drei ehemals offene Fensteröffnungen durch Ziegel- und Bruchsteinmauerwerk verschlossen worden. Die Fenster sind durch ihre leicht segmentbogige Laibung sowie durch die umliegende, abweichende Mauertextur klar im Mauerbild ablesbar. Der Verbund der Ziegel im Bereich der Verschlussflächen weicht in Format, Farbigkeit und Fugenführung vom umgebenden ursprünglichen Mischmauerwerk ab, was auf eine spätere, sekundäre Vermauerung hindeutet.

Die ursprünglichen Fensteröffnungen sind tief im Bruchsteinbereich der Wand eingebettet und liegen deutlich unterhalb der heutigen Hof- bzw. Erdgeschosslinie. Diese Position belegt, dass der Innenraum zur Entstehungszeit der Fenster (vermutlich um 1340) tiefer lag und dass die heutigen Oberkanten der Fenster durch nachträgliche Geländeaufschüttungen teilweise überdeckt wurden. Die erhaltenen Laibungen und Segmentbögen entsprechen in Typologie und Proportion den hochmittelalterlichen Kellerfenstern vergleichbarer Anlagen in Ziesar, Beetzendorf und Kalbe/Milde.

Die Vermauerung erfolgte mit Mischmaterial aus Backstein und Feldstein unter Verwendung eines Mörtels, der sich in Textur und Bindemittelanteil vom bauzeitlichen Fugenmaterial unterscheidet. Diese baulichen Eingriffe lassen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Zeit nach der Zerstörung der Burg 1631 einordnen. Hinweise auf eine Nutzungsänderung sowie auf das Anheben des Geländeniveaus finden sich in den Akten des Gutsarchivs Angern (Rep. H Nr. 412), in denen ausdrücklich von der „Verniedrigung des Hofes“ und dem notwendigen Umbau der Kellerdecken die Rede ist.

Insgesamt belegt der Befund eine bauliche und funktionale Transformation der Ostwand nach der Zerstörung von 1631: Die einstigen Licht- und Belüftungsöffnungen wurden durch Aufschüttung und Mauerveränderung funktionslos, was durch die sekundäre Vermauerung kompensiert wurde. Die Lesbarkeit der ursprünglichen Fenster im Mauerbild unterstreicht den hohen dokumentarischen Wert dieses Fassadenabschnitts für die Bauphasenanalyse des Palas.

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Zugemauerte Fenster in der Ostwand der Hauptburg

Datierung und bauhistorische Einordnung

Die Fenster in der Westwand sowie die südlichen Fenster in der Ostwand sind nicht bauzeitlich. Sie wurden nachträglich in das barock überformte Mauerwerk der Westseite eingesetzt – vermutlich zwischen 1650 und 1735, also in der Phase der provisorischen Nutzung nach dem Dreißigjährigen Krieg und vor dem systematischen Neubau durch Christoph Daniel von der Schulenburg. Für eine Datierung in diese Zeitspanne spricht:

  • der Einbau in aufgefüllte Ringmauerabschnitte mit neu aufgemauertem Ziegelmauerwerk,
  • das Fehlen typischer mittelalterlicher Fensterdetails wie Gewändesteine oder Lichtschlitze,
  • die asymmetrische Setzung in den Wandflächen und
  • die spätere, technisch deutlich unterscheidbare Vermauerung der Öffnungen, teilweise mit Ziegeln aus dem 19. Jahrhundert.

Es ist daher davon auszugehen, dass diese Fensteröffnungen kurzzeitig zur Belichtung von Räumen dienten, die in der Ringmauer oder in Anbauten an dieselbe lagen. Eine Nutzung als Lager- oder Wirtschaftsbereiche in der Übergangszeit nach 1650 erscheint wahrscheinlich.

Schlussfolgerung

Die baulichen Befunde an den zugemauerten Fensteröffnungen der Burg Angern belegen eine differenzierte Nutzungsgeschichte der Hauptburginsel in der Zeit zwischen Zerstörung (1631), Wiederbesiedlung (vor 1650) neuem Wohnhaus (vor 1680) und barockem Neubau (ab 1735). Damit spiegeln sie präzise die Umbruchsituation wider, in der auf den Ruinen der alten Burg provisorische, dann planvolle neue Strukturen errichtet wurden. Der bauliche Kontext dieser Fenster ist ein wichtiges Indiz für die Nutzungskontinuität und den Wandel der Anlage im 17. und frühen 18. Jahrhundert.

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Vermauertes Fenster im südlichen Bereich der Ostwand

Quellen

  • Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 79: Bauverlauf, Wiederaufbau nach 1650, Fensterzählung
  • Dorfchronik Angern: Kirchenvisitation 1650, vier erhaltene Keller, Hinweis auf Bausubstanz vor 1735
  • Ziegelprägung „Kehnert“ im nördlichen Ostfenster (Datierung 19. Jh.)(eigene Untersuchung)
Im 14. Jahrhundert war die Altmark Schauplatz konkurrierender Herrschaftsansprüche. Die Markgrafen von Brandenburg, das Erzbistum Magdeburg sowie einflussreiche Adelsfamilien wie die von Alvensleben und von Grieben rangen um Besitzrechte, Lehnsbindungen und lokale Machtstellungen. In diesem territorial instabilen Raum stellte die Gründung der Burg Angern eine gezielte Maßnahme der Erzdiözese Magdeburg dar, um ihren Einfluss militärisch abzusichern und administrativ zu konsolidieren. Die Errichtung einer Wasserburg mit deutlich ausgeprägter Wehr- und Wohnfunktion manifestierte die landesherrliche Präsenz vor Ort und fungierte zugleich als sichtbares Machtsymbol gegenüber konkurrierenden Adelsinteressen. Hauptburg Angern Palas, Ringmauer und Wehrgang um 1350
Die Besitzgeschichte der Burg Angern lässt sich ab dem 14. Jahrhundert anhand von Lehnbriefen, Pfandverträgen und erzbischöflichen Urkunden nachvollziehen. Die frühe Geschichte ist dabei durch häufige Besitzerwechsel und konkurrierende Lehnsverhältnisse geprägt, was auf die strategische Bedeutung der Anlage und den politischen Druck auf das Erzstift Magdeburg hinweist. Erstmals wird die Burg im Jahr 1343 als Besitz eines Gerlof von Brunhorcz erwähnt. Im Jahr 1363 erscheint Lüdecke von Grieben als Lehnsträger. Er war kein Angehöriger der hochadeligen Familie von Grieben, sondern ein Vasall, der deren Namen übernommen hatte – ein im Mittelalter verbreitetes Phänomen, um familiäre Zugehörigkeit oder Schutzverhältnisse zu demonstrieren. 1370 sind Lüdecke von Grieben und zwei Söhne des Ritters Jakob von Eichendorf gemeinsam mit Angern belehnt.
Dieser Rundgang durch die Burg Angern um das Jahr 1340 basiert auf einer sorgfältigen Rekonstruktion historischer Quellen, archäologischer Befunde und baugeschichtlicher Analysen. Alle Szenen, Räume und Details wurden unter Berücksichtigung realer Gegebenheiten der mittelalterlichen Anlage entwickelt – etwa der erhaltenen Tonnengewölbe, der typischen Bauweise von Palas, Bergfried und Wirtschaftsflügeln sowie Hinweise aus Inventaren und schriftlichen Überlieferungen. Ziel ist es, nicht nur die äußere Gestalt, sondern auch die Atmosphäre und Lebenswelt einer spätmittelalterlichen Burg erlebbar zu machen – so nah wie möglich an der historischen Realität, doch mit erzählerischer Tiefe. Die Bilder zeigen fotorealistische Rekonstruktionen der Burg Angern um 1350. Sie basieren auf archäologischen Befunden, historischen Quellen und vergleichbarer Bausubstanz – realitätsnah umgesetzt mit moderner KI-Technik.
Die Burg Angern als exemplarische hochmittelalterliche Wasserburg in Norddeutschland. Die Burg Angern zählt zu den wenigen in der norddeutschen Tiefebene erhaltenen Wasserburgen, deren bauliche Struktur, archäologische Substanz und archivalische Überlieferung gleichermaßen außergewöhnlich gut erhalten sind. Obwohl die Errichtung um 1340 chronologisch an der Schwelle zum Spätmittelalter liegt, entspricht die Anlage in ihrer Konzeption, Gliederung und Funktionalität eindeutig dem hochmittelalterlichen Burgentypus. Die Burg vereint in exemplarischer Weise militärische, ökonomische und administrative Funktionen innerhalb eines klar strukturierten und funktional differenzierten Inselburgsystems. Ihre topografische Disposition – bestehend aus zwei künstlich aufgeschütteten Inseln, vollständig umgeben von einem mehrfach gegliederten Grabensystem – dokumentiert eindrucksvoll die strategischen und ingenieurtechnischen Prinzipien des Burgenbaus im mittleren 14. Jahrhundert. Burganlage in Angern mit Vorburg, Hauptburg mit Wehrgängen (orange) und Brücken sowie der Turminsel
Die Vorburg der Burg Angern: Funktionsanalyse und historische Rekonstruktion unter der Annahme mittelalterlicher Vorgängermauern (ca. 1350). Die Vorburg der Burg Angern, wie sie auf einem barockzeitlichen Plan um 1760 dargestellt ist, weist eine markante rechteckige Struktur mit drei langgestreckten Wirtschaftsgebäuden und zwei freistehenden Bauten auf. Auf Grundlage architektonischer Analyse, funktionaler Einteilung sowie typologischer Vergleiche mit anderen mitteleuropäischen Burganlagen lässt sich begründet rekonstruieren, dass die barocken Gebäude auf der Struktur und dem Grundriss einer hochmittelalterlichen Vorburg basieren. Die folgenden Ausführungen widmen sich der Rekonstruktion dieser früheren Vorburg unter der Annahme eines Baubestandes aus der Zeit um 1350. Innenhof der Vorburg Angern mit Wirtschaftsgebäuden (KI-Rekonstruktion)
Die strategische Lage Angerns im Dreißigjährigen Krieg. Angern war zu Beginn des 17. Jahrhunderts Sitz eines ausgedehnten Lehngutes der Familie von der Schulenburg, gelegen an der Grenze zwischen dem Kurfürstentum Brandenburg und den geistlichen Territorien Halberstadt und Magdeburg. Die Burg war Teil eines befestigten Ensembles aus Hauptburg, Vorburg und Turminsel. Ihre Lage machte sie im Kontext konfessioneller Konflikte und durchziehender Heere zu einem militärisch sensiblen Ziel.
Dieses Essay unternimmt den Versuch, die Lebenswirklichkeit im Dorf Angern um das Jahr 1340 nachzuzeichnen – basierend auf überlieferten Urkunden, Inventaren, Dorfordnungen und vergleichenden Regionalanalysen. Es beleuchtet die sozialen Strukturen , das wirtschaftliche Leben , den Alltag der Bevölkerung , und stellt Angern in den Kontext vergleichbarer Dörfer mit ähnlicher Herrschafts- und Wirtschaftsform. Trotz der lückenhaften Quellenlage aus dem 14. Jahrhundert erlauben spätere Ordnungen und bauliche Spuren einen aufschlussreichen Rückblick auf eine Epoche, in der feudale Macht, religiöse Ordnung und agrarische Selbstversorgung das Leben der Menschen bestimmten. Alte Dorfstrasse von Angern im Mittelalter
Die Errichtung der Burg Angern um 1340 – Architektur, Handwerk und Kontext. Die Burg Angern entstand um das Jahr 1340 im Auftrag des Erzbischofs Otto von Magdeburg. Diese Befestigungsanlage war Teil einer territorialpolitischen Sicherungsstrategie des Erzstifts in der südlichen Altmark, nachdem 1336 ein Ausgleich mit dem Markgrafen von Brandenburg erreicht worden war. Die Anlage, gelegen an einer bedeutenden Handelsroute, zählt zu den Wasserburgen des Niederungstyps und zeigt exemplarisch, wie sich Wehrhaftigkeit, Verwaltung und Repräsentation im 14. Jahrhundert architektonisch verbanden.
Angern

Angern, Sachsen-Anhalt, Landkreis Börde. Heft 20, Berlin 2023 (ISBN: 978-3-910447-06-6).
Alexander Graf von der Schulenburg, Klaus-Henning von Krosigk, Sibylle Badstübner-Gröger.
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft e.V.
Umfang: 36 Seiten, 59 Abbildungen.