Burg Angern
Die um 1341 gegründete Burg Angern bewahrt in seltener Geschlossenheit die originale Bau-, Erschließungs- und Verteidigungsstruktur einer hochmittelalterlichen Wasserburg und nimmt damit eine herausragende Stellung innerhalb der norddeutschen Burgenlandschaft ein.

Mögliche Zugänge zur Turminsel der Burg Angern um 1350: Eine kritische Analyse. Die Burg Angern in der Altmark weist eine seltene bauliche Besonderheit auf: einen isolierten Wehrturm auf einer separaten Insel südlich der Hauptburg. Während die Existenz dieses sogenannten Bergfrieds durch historische Quellen und bauliche Reste gesichert ist, bleibt die Frage seines Zugangs weitgehend unbeantwortet. Bislang gibt es keine archäologischen Nachweise für eine Brückenanlage, Türöffnung oder sonstige Verbindung zur Hauptburg. Dennoch lassen sich auf Basis funktionaler, topographischer und typologischer Kriterien verschiedene Zugangsszenarien rekonstruieren. Dieses Essay untersucht die möglichen Wege zur Turminsel im Kontext vergleichbarer Burganlagen des 13. und 14. Jahrhunderts.

Quellenlage und Befunde

Die Hauptquelle zur Turminsel stellt ein Memoire von Christoph Daniel von der Schulenburg aus dem Jahr 1745 dar, in dem ein „kleiner Graben“ zwischen Hauptburg und Turm erwähnt wird. Dieser Graben sollte laut Planungen zugeschüttet werden, was letztlich nicht geschah. Daraus lässt sich ableiten, dass die Turminsel auch im 18. Jahrhundert nur über eine – nicht näher beschriebene – Verbindung zur Hauptburg verfügte. Die Form dieser Verbindung bleibt offen.

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Zugang zur Turminsel über den südlichen Wehrgang oder über den Palas

Hypothetische Zugangsszenarien

1. Zugang vom Palas über eine schmale Brücke zur nördlichen Seite des Turms

  • Die Turminsel liegt unmittelbar südlich der Hauptburg, getrennt durch einen schmalen Wassergraben.
  • Zugang durch den Palas zur Nordseite des Bergfrieds: Wenn Palas und Bergfried beide etwa 10 Meter breit sind und in einer Fluchtlinie liegen, wäre eine Brücke zur Nordseite des Bergfrieds vom Palas aus möglich gewesen. Der südliche Wehrgang der Hauptburg hätte architektonisch keine direkte Verbindung zur Nordseite des Turms gehabt. Eine Brücke aus dem Wehrgang hätte einen ungewöhnlichen und baulich aufwändigen Verlauf erfordert. Daraus folgt: Falls es einen Zugang an der Nordseite des Turms gab, konnte dieser nur aus dem ersten Obergeschoss des Palas erreicht werden. Dies spricht für eine sozial exklusive, aber militärisch weniger geschützte Lösung.
  • Eine Brücke von etwa 4 bis 5 Metern Länge wäre baulich leicht realisierbar gewesen.
  • In Analogie zu anderen Wasserburgen hätte diese Brücke auf Höhe des südlichen Wehrgangs oder des ersten Obergeschosses des Palas beginnen können.
  • Nachteil: Keine baulichen Spuren oder schriftlichen Hinweise auf eine Tür im Bergfried oder ein Brückenauflager sind erhalten. Eventuell sind Spuren in den noch verschütteten südlichen Gewölben des Palas zu finden.

2. Zugang über einen hölzernen Wehrgang von der südlichen Ringmauer zur westlichen Seite des Turms

  • Die Brücke verlief direkt vom Wehrgang auf der Südmauer über eine kurze Brücke zur Westseite des Bergfrieds, wo ein Zugang auf Höhe des Wehrgangs möglich gewesen wäre. Ein solcher Zugang wäre als verteidigungsgünstige Seitenanbindung zu verstehen: Der Zugang zum Bergfried liegt dabei nicht frontal zur Hauptangriffsrichtung, sondern seitlich versetzt und damit besser gedeckt, schwerer anzugreifen und leichter zu kontrollieren.
  • Solche Übergänge sind aus französischen Wasserburgen des Spätmittelalters bekannt (z. B. Trécesson).
  • Diese Konstruktion wäre leicht abwerfbar und militärisch kontrollierbar gewesen.
  • Funktional die wahrscheinlichste Variante.
  • Auch hier fehlt ein baulicher Beleg.

3. Zugang von außen: Brücke vom Festland zur Turminsel

Eine direkte Verbindung von der Turminsel zum Festland ist in den Quellen nicht belegt und auch archäologisch nicht nachgewiesen. Die topographische Situation macht eine solche Verbindung zudem unwahrscheinlich: Die Turminsel lag in der innersten Zone der Burganlage und war durch Wassergräben von allen Seiten geschützt. Ein Zugang vom Festland hätte das Verteidigungskonzept der Reduit-Struktur unterlaufen. Im Gegensatz zur Hauptburg, die über eine Brücke erreichbar war, diente die Turminsel vermutlich ausschließlich als letzter Rückzugsort und war nur über die Hauptburg kontrollierbar.

Proportionsanalyse: Breite des Palas im Vergleich zum Bergfried

Ein wichtiger Anhaltspunkt für die Breite des Palas ergibt sich aus der bekannten Grundfläche des Bergfrieds, der mit 10 × 10 Metern vermessen ist. Da der Turm in einer Fluchtlinie mit dem Palas liegt, ist es sehr wahrscheinlich, dass auch der Palas eine Breite von etwa 10 Metern aufwies. Diese Annahme wird durch vergleichbare Anlagen gestützt: In Burgen wie Falkenstein, Ziesar oder Querfurt liegen die Breiten der Palasbauten ebenfalls zwischen 8 und 10 Metern. Eine solche Breite ermöglichte einen klar gegliederten, zweigeschossigen Wohnbau mit mittiger oder seitlicher Treppenführung und Repräsentationsraum im Obergeschoss. Auch eine direkte Verbindung auf Höhe des ersten Obergeschosses zur Turminsel wäre bei einer solchen Proportion statisch und funktional gut realisierbar.

Vergleich mit anderen Burgen

  • Burg Vischering (NRW): Zugänge zwischen Vorburg und Hauptburg über Brücken klar belegt.
  • Burg Ziesar (Brandenburg): Räumliche Trennung von Wohnturm und Wohntrakt, jedoch innerhalb einer geschlossenen Anlage.
  • Château de Trécesson (Bretagne): Brückenzugang vom Wehrgang aus direkt zum Turm, teilweise abwerfbar.
  • Burg Heldrungen (Thüringen): Mehrfach gestaffelte Brückensysteme mit kontrolliertem Zugang zu Reduitzonen.

Bewertung der Szenarien

  • Am wahrscheinlichsten ist ein schmaler Holzsteg oder eine einfache Brücke zwischen Hauptburg und Bergfried auf der Turminsel, vermutlich auf Höhe des Wehrgangs oder des ersten Obergeschosses des Palas. 
  • Eine Anbindung vom Wehrgang der südlichen Ringmauer wäre technisch möglich und militärisch sinnvoll.
  • Für eine eindeutige Klärung wäre eine gezielte archäologische Grabung im Bereich der südlichen Ringmauer sowie der verschütteten südlichen Palas-Gewölbe erforderlich.

Quellen

  • Publikation Angern (2022)
  • Rep. H Angern Nr. 412, 417
  • Brülls/Könemann (2001): Denkmalverzeichnis Sachsen-Anhalt, Bd. 10.2
  • Knappe, R. (1995): Burgen in Sachsen-Anhalt
  • Zeune, J. (1994): Burgtypen in Mitteleuropa
  • Schlegel, R. (2010): Treppenanlagen in Burgen des Spätmittelalters
  • Wölfle, F. (2005): Schloss Ambras. Architektur und Nutzung im Wandel
Die Quellenlage und baulichen Befunde der Burg Angern: Rekonstruktion einer hochmittelalterlichen Wasserburg. Die Burg Angern in der Altmark stellt ein selten erforschtes Beispiel für eine hochmittelalterliche Wasserburg mit außergewöhnlich gut erhaltener Geländestruktur und greifbaren Bauspuren dar. Errichtet im 14. Jahrhundert unter dem Magdeburger Erzbistum, blieb ihre ursprüngliche Funktionsgliederung – bestehend aus Hauptburg, Vorburg und separater Turminsel – trotz späterer Zerstörungen und barocker Überformungen in ihrer Grundstruktur nachvollziehbar. Diese klare Dreigliederung – Wohnbereich, Wirtschaftsbereich und Wehrinsel – ist im norddeutschen Raum nur selten in solcher Klarheit überliefert. Das vorliegende Essay analysiert die archivalischen Quellen und baulichen Überreste und bewertet das Rekonstruktionspotenzial der Anlage im Vergleich mit regionalen Parallelbeispielen.
Im 14. Jahrhundert war die Altmark Schauplatz konkurrierender Herrschaftsansprüche. Die Markgrafen von Brandenburg, das Erzbistum Magdeburg und verschiedene Adelsfamilien wie die von Alvensleben und von Grieben rangen um Besitz, Lehensrechte und lokale Macht. Die Gründung der Burg in Angern diente der Erzdiözese Magdeburg zur militärischen Sicherung und verwaltungstechnischen Kontrolle ihrer südaltmärkischen Besitzungen. Die Anlage einer Wasserburg mit Wehr- und Wohnfunktion manifestierte die landesherrliche Präsenz in einem territorial instabilen Raum.
Die Besitzgeschichte der Burg Angern lässt sich ab dem 14. Jahrhundert anhand von Lehnbriefen, Pfandverträgen und erzbischöflichen Urkunden nachvollziehen. Die frühe Geschichte ist dabei durch häufige Besitzerwechsel und konkurrierende Lehnsverhältnisse geprägt, was auf die strategische Bedeutung der Anlage und den politischen Druck auf das Erzstift Magdeburg hinweist. Erstmals wird die Burg im Jahr 1343 als Besitz eines Gerlof von Brunhorcz erwähnt. Im Jahr 1363 erscheint Lüdecke von Grieben als Lehnsträger. Er war kein Angehöriger der hochadeligen Familie von Grieben, sondern ein Vasall, der deren Namen übernommen hatte – ein im Mittelalter verbreitetes Phänomen, um familiäre Zugehörigkeit oder Schutzverhältnisse zu demonstrieren. 1370 sind Lüdecke von Grieben und zwei Söhne des Ritters Jakob von Eichendorf gemeinsam mit Angern belehnt.
1735 ließ Christoph Daniel von der Schulenburg, ein General im Dienst des Königs von Sardinien, ein neues dreiflügeliges Schloss auf auf der 2. Insel erbauen, auf der sich auch der Turm befand. Dieses Gebäude wurde nach den Plänen des Magdeburger Landbaumeisters Fiedler gebaut, wobei zahlreiche Baufehler auftraten, die eine Fertigstellung verzögerten. Der Bau wurde schließlich unter der Aufsicht von Maurermeister Böse abgeschlossen. Von der ursprünglichen Burg auf der ersten Insel sowie dem Turm auf der zweiten Insel blieben Kellergewölbe erhalten, die heute zum Teil begehbar sind.
Dieser Rundgang durch die Burg Angern um das Jahr 1350 basiert auf einer sorgfältigen Rekonstruktion historischer Quellen, archäologischer Befunde und baugeschichtlicher Analysen. Alle Szenen, Räume und Details wurden unter Berücksichtigung realer Gegebenheiten der mittelalterlichen Anlage entwickelt – etwa der erhaltenen Tonnengewölbe, der typischen Bauweise von Palas, Bergfried und Wirtschaftsflügeln sowie Hinweise aus Inventaren und schriftlichen Überlieferungen. Ziel ist es, nicht nur die äußere Gestalt, sondern auch die Atmosphäre und Lebenswelt einer spätmittelalterlichen Burg erlebbar zu machen – so nah wie möglich an der historischen Realität, doch mit erzählerischer Tiefe. Die Bilder zeigen fotorealistische Rekonstruktionen der Burg Angern um 1350. Sie basieren auf archäologischen Befunden, historischen Quellen und vergleichbarer Bausubstanz – realitätsnah umgesetzt mit moderner KI-Technik. Von der Vorburg zum Pforthäuschen
Die Burg Angern im Kontext des hochmittelalterlichen Burgenbaus in der Altmark und im mitteldeutschen Raum. Die hochmittelalterliche Burg Angern zählt zu den am besten bauarchäologisch überlieferten Niederungsburgen im norddeutschen Raum. Ihre topografische Besonderheit – die Trennung von Hauptburg und Wehrturm auf zwei künstlich angelegten Inseln – stellt ein herausragendes Beispiel für die strategische und funktionale Entwicklung von Wasserburgen im 14. Jahrhundert dar. Das vorliegende Essay untersucht die Stellung der Burg Angern im Vergleich zu regionalen Burgenbautypen und reflektiert Gemeinsamkeiten und Abweichungen im Hinblick auf Anlageform, Materialität, Verteidigungskonzept und architektonische Klarheit.
Die Burg Angern um 1350: Architektur und Aufbau einer mittelalterlichen Wasserburg in der Altmark. Die Burg Angern, errichtet um 1341 unter Erzbischof Otto von Magdeburg, stellt ein herausragendes Beispiel für den Typus der mittelalterlichen Wasserburg in der Altmark dar. Inmitten eines künstlich angelegten Wassergrabens erhoben sich die Hauptburg auf einer nördlichen Insel sowie der Bergfried auf einer südlichen Nebeninsel. Die hier dargestellte Rekonstruktion basiert auf archäologischen Restbefunden, historischen Quellen (Rep. H Angern Nr. 79; Dorfchronik Angern) und Vergleichen mit zeitgenössischen Anlagen wie Kalbe (Milde), Beetzendorf und Salzwedel. Palas, Innenhof und Bergfried der Burg Angern (KI generiert)
Die Burg Angern als exemplarische hochmittelalterliche Wasserburg in Norddeutschland. Die Burg Angern entstand 1341 unter Erzbischof Otto von Magdeburg als klassische Niederungsburg auf zwei künstlich angelegten Inseln, geschützt durch ein umfassendes System von Wassergräben. Die räumliche Trennung von Hauptburg und Wehrturm auf zwei eigenständigen Inseln ist im hochmittelalterlichen Burgenbau Norddeutschlands bislang ohne bekannte Parallele dokumentiert. Der Zugang zur Hauptburg erfolgte über eine hölzerne Brücke, die zur möglicherweise westlich vorgelagerten Vorburg führte, welche ihrerseits Wirtschaftsfunktionen wie Stallungen, Lagerräume und Gesindewohnungen beherbergte sowie möglicherweise vom Wehrturm der südlichen Insel. Die Hauptinsel war quadratisch (ca. 35 × 35 m) angelegt. Ein eigenständiges Torhaus ist für Angern nicht nachweisbar; der Zugang wurde vielmehr nachweislich durch ein einfaches Pforthäuschen geregelt – eine Abweichung von der sonst verbreiteten Torhausarchitektur und ein Hinweis auf eine reduzierte, pragmatische Verteidigungsstrategie.
Angern

Angern, Sachsen-Anhalt, Landkreis Börde. Heft 20, Berlin 2023 (ISBN: 978-3-910447-06-6).
Alexander Graf von der Schulenburg, Klaus-Henning von Krosigk, Sibylle Badstübner-Gröger.
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft e.V.
Umfang: 36 Seiten, 59 Abbildungen.