Quelle: Quality-Magazin, Sommer 2009,
http://www.quality.uk.com/2009/05/15/die-bio-grafen/
Blaues Blut mit grünem Bewusstsein: Wie der Adel ökologischen Anbau revolutioniert und dabei zu seinen Wurzeln findet.
von Steffi Kammerer und Linda-Luise Tüting, Fotos von Jan Riephoff
Sitzt man in der Bar des Do & Co-Hotels in Wien, hoch oben über dem Stephansplatz, und schaut der österreichischen Gesellschaft beim Busserln zu, fühlt man sich kaum wie in einem Öko-Restaurant. Und doch ist hier manches grüner als es scheint, nicht nur die Kräuter auf dem Kalbsrücken. Der ältere Herr mit dem säuberlich gestutzten Schnauzbart etwa, der vorbeikommt, wann immer er in der Stadt ist, gilt als einer der profiliertesten Politiker der europäischen Grünen: Fürst Karl von Schwarzenberg, amtierender Außenminister der Republik Tschechien. Eins der beliebtesten Getränke auf der Karte – der naturtrübe Apfelsaft – wird hergestellt von einem anderen treuen Besucher: Georg Graf Thurn-Vrints.
„Grün, na ja“, wehrt der Graf ab, als er uns in diesem Frühjahr auf seinem gelb getünchten Landgut empfängt. Es steht umgeben von Wiesen, eine Autostunde nördlich von Wien, nahe der tschechischen Grenze. Ein Grüner im typischen Sinn will der Biobauer nicht sein. Dafür hat er zu lange konventionelle Landwirtschaft betrieben und dafür ist er auch zu sehr Unternehmer.
Dabei macht er mit seinen 240 Hektar Anbaufläche heute so ziemlich alles, was im grünen Lehrbuch steht: keine Pestizide, keine künstlichen Düngemittel und regelmäßig wechselnde Fruchtfolgen, um den Boden auf natürliche Weise mit Nährstoffen zu versorgen. Er produziert Äpfel, Kürbisse und Kartoffeln, Weizen und Dinkel, alles zu 100 Prozent biologisch.
Lange habe er mit sich gerungen, bevor er sich vor zehn Jahren für die Umstellung entschieden habe, erzählt der Graf, während er uns im Geländewagen über seinen Besitz fährt. Nach sorgfältiger Recherche pflanzte er 12 Hektar Topaz-Bäume, Äpfel einer alten, widerstandsfähigen Sorte und installierte eine eigene Beregnungsanlage. Die erste Ernte konnte er 2003 einfahren; bis dahin hatte er rund 330.000 Euro investiert. Georg Graf Thurn-Vrints ist ein zurückhaltender Mann, der mit Gutsherrenposen wenig anfangen kann. Im Wohnzimmer ist es behaglich, vor Sofas mit bunten Decken liegt ein Labrador-Mischling. Den Betrieb stellte er aus zwei Gründen um, sagt er: weil ihm sein Land am Herzen lag und weil er feststellte, dass sich Bioprodukte wirtschaftlich rechnen. Zwar ist ihre Herstellung um ein Vielfaches teurer – aber er kann ökologische Ware bis zu vier Mal teurer verkaufen als herkömmliche. Unterm Strich bleibt ihm, je nach Jahr, mal ein Drittel mehr Gewinn als früher, mal das Doppelte.
Thurn-Vrints ist einer von vielen Aristokraten, die vom Bio-Boom profitieren. Ein Begriff, der in Schlössern und Gutshäusern oft zu hören ist, und der hier, vor den langen Ahnentafeln, nicht nach bloßem Zeitgeist klingt, ist „Nachhaltigkeit“. Eine Art Brückenwort zwischen der egalitären Grünen-Bewegung – und einem alten linken Feindbild: dem Adel – der es verinnerlicht hat, den Boden und dessen Früchte als geborgt anzusehen. Und der nun plötzlich wieder Vorbildcharakter hat – weil er nicht bloß in eigenen Lebensspannen denkt, sondern in Generationen und Epochen. Junkerland, Grünbauernland.
Der bekannteste unter den Öko-Rittern
ist Prinz Charles, der für sein jahrzehntelanges Engagement gerade in
Berlin geehrt wurde. Lange wurde über den Thronfolger, der mit Blumen
spricht und Bio-Marmelade produziert, gelacht – nun ist er ebenso
Vorreiter wie vor 200 Jahren Leopold Franz von Anhalt-Dessau: ein
Umweltpionier, der ökologisch optimierte Nutzwälder anlegte und in
Dessau-Wörlitz ein Gartenreich schuf, das heute zum Weltkulturerbe
gehört.
Dass die Bio-Welt für einen Mann wie Georg Graf Thurn-Vrints
längst weniger Projekt als Leidenschaft ist, merkt man, wenn er über
seine Äpfel spricht. Fruchtig-knackig seien sie, leicht säuerlich,
himmlisch, er kommt aus dem Schwärmen nicht heraus. Und tatsächlich:
Der Saft, den er uns zum Probieren reicht, schmeckt so, dass wir noch
auf der Heimfahrt davon sprechen.
Mit Anfang zwanzig übernahm
Thurn-Vrints das Gut in Poysbrunn samt Ländereien und Schloss von einer
Tante. Als zweitältester Sohn mit sieben Geschwistern in einem
Forstbetrieb in Kärnten aufgewachsen, hatte ihn sein Vater hierher nach
Niederösterreich geschickt, in eine Gegend, die bis heute eine der
ärmsten des Landes ist. „Die Frage war damals nicht, ob ich Lust auf
den Job hatte, sondern was für mich vorgesehen war.“ Tradition eben.
Viel
Theater macht der Graf auch um seine Art der Bewirtschaftung nicht. Er
sei Realist, kein Romantiker. Der Arbeitsaufwand sei zwar größer, die
Nachfrage aber ebenso. So ist es mit hochwertigen Nischenprodukten.
„Nachhaltigkeit
liegt in der Bäuerlichkeit meiner Familie. Es ist einfach mein Wunsch“,
sagt er, „das, was ich bewirtschafte, irgendwann anständig
weiterzugeben.“ Anders als sein Vater werde er sich hüten, seinen drei
kleinen Töchtern vorzuschreiben, was sie einmal machen sollen. Doch die
Chancen stehen gut: Die Mädchen lieben ihr Zuhause.
„Beim Gocki
in Österreich wart ihr auch schon“, lacht Enno Freiherr von Ruffin, den
wir mehr als tausend Kilometer weiter nördlich besuchen, auf Gut
Basthorst, am Rande des Sachsenwalds, zwischen Hamburg und Schwerin.
Gocki ist der Spitzname des Grafen Thurn-Vrints. Und klar, man kennt
sich.
Der zupackende Ruffin ist ein Landmann, wie er im Buch steht.
Sein Spezialgebiet: rustikales Dolce Vita. Der Ex-Mann von Vicky
Leandros richtet Poloturniere und Kutschfahrten aus, auf den Wiesen
rund um sein properes Anwesen weiden Schafe, Ziegen, Ponys und ein paar
Rentiere. Alljährlich organisiert Ruffin einen der schönsten
Weihnachtsmärkte Deutschlands, dann stöckeln die Damen der Elbchaussee
begeistert durch Matsch und Schnee, in diversen Scheunen wird gefeiert.
Immer vornweg der Baron.
Zur Weihnachtszeit kommt auch Vicky
Leandros schon mal in ihr altes Haus zurück und singt für einen guten
Zweck. Carlo von Tiedemann versteigert dann Christbäume, die Otto
Waalkes geschmückt hat und manche lästern, das einzig Grüne an Ruffin
sei die Farbe seines Tweedjackets.
Doch das stimmt nicht ganz. Neben
dem unbehandelten Obstgarten, der die Früchte für das hofeigene Café
und Restaurant liefert, kann der Baron stolz sein auf sein Mehl: „Das
sauberste, rückstandfreieste und beste, das Sie kriegen können.“
Ruffin
praktiziert eine integrierte Landwirtschaft und setzt minimal dosiert
Pflanzenschutzmittel ein, die aber, versichert er, komplett abbaubar
seien. Unter der Dachmarke Cerealis, die er selbst mitgegründet hat,
vertreiben er und 40 weitere Landwirte ihr Getreide, dessen Weg vom
Saatgut übers Feld bis hin zum Müller und Bäcker nachvollziehbar ist,
mit verbriefter Qualitäts- und Herkunftsgarantie.
Vögel zwitschern,
ein paar Schafe blöken, der Baron lässt kühlen Weißwein zur Kerbelsuppe
reichen und plaudert aus seinem Leben: Vor 30 Jahren hat er den Betrieb
von seinem Vater übernommen, von früh auf war er darauf vorbereitet
worden. Er lebt mit seinem Hof, wie es eben jemand tut, dessen Familie
seit 400 Jahren hier verankert ist. Nachhaltigkeit ist für ihn so
normal wie essen, schlafen, Zähneputzen. „Ich habe ja eine
Verantwortung für die Menschen, die Tiere und das Land“, sagt er.
Wenn
es nachts stürmt, ist er der Erste, der aufsteht, wenn ein Arbeiter
krank wird, steigt er schon mal selbst auf dem Trecker. Drei erwachsene
Kinder hat er, eine Tochter macht gerade ihren Master in Agrikultur.
Ruffin will ihr eine bessere ökologische Situation hinterlassen, als er
selbst damals vorfand. „Es ist wichtig, den Kreislauf von Land und
Forst als Ganzes zu sehen. Was wir dem Boden entziehen, müssen wir ihm
zurückgeben.“
Schöne heile Welt ist das Erste, das einem auch zu
Schloss Proschwitz bei Meißen in Sachsen einfällt, einem Prachtbau, der
traditionell der Familie zur Lippe gehörte, bis 1918 eines der
regierenden Fürstenhäuser Deutschlands. Schlossherr Georg Prinz zur
Lippe hat es in den letzten Jahren penibel renoviert. Ebenso wie das
Weingut gleich nebenan, es ist das älteste Sachsens und das größte dazu.
Die
etwa achtzig Hektar Weinberge entlang der Elbe werden kontrolliert
umweltschonend bewirtschaftet, wofür es 1996 den Ritterschlag gab: Mit
seinen Weinen und Sekten hat Proschwitz es in den erlauchten Verband
deutscher Prädikatsweingüter (VDP) geschafft – als einziges sächsisches
Unternehmen.
Es war ein Meilenstein nach Jahren, die für die Familie
dramatisch waren: Georgs Vater, der behütet in Proschwitz aufgewachsen
war – der Bruder von Otto Dix kam als Hauslehrer – war 1945 in der
sowjetischen Besatzungszone verhaftet worden, der Besitz wurde restlos
enteignet.
Georg hatte keinen großen Bezug zum Weinbau. Er wollte
Arzt werden. Weil er keinen Studienplatz bekam, schrieb er sich dann
aber für Landwirtschaft ein. Nach der Uni machte er schnell Karriere
als Unternehmensberater. Dann kam die Wende: „Von da an hat mich mein
Vater dauernd nach Sachsen geschleppt“, erzählt er, „ziemlich
trickreich hat er das angestellt.“
Im
benachbarten Sachsen-Anhalt erzählt Alexander Graf von der Schulenburg
seine eigene Erfolgsgeschichte. Nicht nur, dass er Schloss Angern in
der Nähe von Magdeburg und den dazugehörigen Forst nach der
Wiedervereinigung zurückgekauft hat – seine Landwirtschaft betreibt er
zu 100 Prozent ökologisch. Dabei lässt er sich von einem kundigen
Nachbarn helfen, denn Schulenburg, ein Diplom-Kaufmann, der in der Nähe
von Frankfurt am Main aufwuchs, ist eigentlich IT-Berater.
Bioprodukte
seien die einzigen, die ihm schmecken, sagt er. So einfach sei das. Und
alles andere sei ungesund. Er glaubt, dass Pestizide in zehn Jahren
sowieso verboten sein werden. „Ich habe ein tiefes Misstrauen gegenüber
konventionell erzeugten Lebensmitteln und den damit verbundenen
Nebenwirkungen für Mensch und Natur.“ Seine Kinder gehen in den
Waldorfkindergarten in Magdeburg. Dort kocht man nur mit Öko-Produkten.
Doch Graf Schulenburg ist kein Missionar, sondern ein leiser,
bescheidener Mann – mit besonderer Perspektive: „Ich leite diesen
Betrieb in der achtzehnten Generation. Alle vor mir haben
ausschließlich ökologische Lebensmittel angebaut, über mehrere
Jahrhunderte. Chemie ist doch in der Landwirtschaft vergleichsweise
kurz im Einsatz.“
Seit 1448 ist der Besitz in der Hand der Familie,
mit Unterbrechungen, zu denen die DDR-Jahre gehörten. 1998 fing
Schulenburg an, seinen Hof ökologisch zu führen, im Osten gilt er bis
heute als Exot: Nur wenige Kunden interessierten sich für Bioprodukte,
sagt er, das meiste – Getreide, Kartoffeln, Obst und Gemüse – geht in
den Westen.
In Deutschland produzieren etwa vier Prozent aller
Landwirtschaftsbetriebe komplett ökologisch. Warum so wenig, wo doch
die Nachfrage seit Jahren steigt? Biolandwirt zu sein, sagt der grüne
Graf, erfordere ganz spezielle Kenntnisse. Die Umstellung sei
kompliziert, allein die Unkrautbekämpfung sei etwas, wobei man viel
falsch machen könne – und deshalb riskiere, viel Geld zu verlieren.
„Viele trauen sich da nicht ran.“
Quelle: Quality-Magazin, Sommer 2009